Die Stammwürze im Detail

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Begriffe aus dem Bereich der Würzebereitung und der Extraktgewinnung


Stammwürze

Die Stammwürze beschreibt die Summe der aus dem Malz und Hopfen im Wasser gelösten Substanzen vor der Vergärung. Die gelösten Substanzen bestehen hauptsächlich aus Abbauprodukten der durch das Malz oder durch das Getreide(Schüttung) eingebrachten Stärke(Malzzucker/Maltose), aber auch aus Eiweißbestandteilen, Vitaminen, Mineralien und in geringen Mengen auch aus Substanzen, die durch die Hopfengabe in die Würze gelangen. Die Summe dieser gelösten Substanzen wird auch als Extrakt bzw. Extraktgehalt-, und die Flüssigkeit(Brauwasser) in der sich der gelöste Extrakt befindet, als Würze bezeichnet.  


Die Einheit der Stammwürze ist das Grad Plato [°P]. Das °P beschreibt damit den Massenanteil [g/100g] an gelöstem Extrakt in der Würze vor der Vergärung, ausgedrückt in Gewichtsprozent bzw. Gewichts-/Gewichtsprozent(Abgekürzt als Gew.-/Gew.%, GG% oder auch direkt in Massenprozent %mas angegeben). Damit ist vereinfacht ausgedrückt die Stammwürze oder der Stammwürzegehalt nichts anderes als die Angabe einer Extraktkonzentration in der unvergorenen Bierwürze unmittelbar vor der Vergärung(Anstellwürze).


Die Stammwürze Grad Plato [°P] ist ein feststehender Wert der im Sudhaus(kalte Würze) festgelegt wird und sich auch durch die Zugabe von Hefe(Gärung) nicht mehr ändert.




Stammwürze - Geschichte und Zusammenhänge

Für die industrielle Praxis konstruierte erstmals 1843  Carl Joseph Napoleon Balling ein einfaches Saccharometer(->spezifisches Aräometer), dass in reiner Zuckerlösung direkt den Saccharosegehalt in Prozenten anzeigte. Die Skala auf dem Balling-Saccharimeter zeigte Messwerte in "Balling-Grad" an, wobei ein "Balling-Grad" einem Prozent Saccharose entsprach.

Der deutsche Chemiker Fritz Plato griff um das Jahr 1900 das von Balling entwickelte Maßsystem auf und entwickelte es in der Form weiter, dass er einen Zusammenhang zwischen der Dichte einer Saccharoselösung [g/100ml] und einer von nach ihm benannten Maßeinheit herstellte - dem Grad Plato[°P].

Per Definition hat 1 °P dieselbe Dichte[g/100ml] wie eine wässerige Saccharoselösung mit 1 Gewichtsprozent Saccharose:


1 °P = 1 GG % = 1 %mas Dichte ρ(Rho) 1 g/100 g wässrige Saccharose-Lösung


Diese nicht linearen Zusammenhänge zwischen °P bzw. GG% und der Dichte[g/100ml] wurden erstmalig 1929 von Otto Meindel in einem kleinen Büchlein u.a. mit Angaben zu relativen Dichte zusammengefasst - den


"Tafeln für die Malzanalyse. Berechnet nach der Tafel der Normaleichungskommission. (ugs. Plato-Tabelle)"

(Meindl Otto,Nürnberg, Verlag F.Carl, 1935)




Stammwürze - die Stammwürze, die Platotabelle und ihre "Dichten"

Die "Plato-Tabelle" ist heute noch ein Standardwerk, dass in keinem Brauereilabor fehlt.

Ausschnitt Platotabelle für Stammwürze °P = 12,0 %:


Die Spalte "Gewichtsverhältnis SL20/20°C"

Das Gewichtsverhältnis  SL20/20°C kann direkt nur mit dem Pyknometer bestimmt werden. Das Messprinzip beruht auf der Wägung zweier Flüssigkeiten bei 20°C(Probe und Wasser) in einem definierten Gefäß - dem Pyknometer. Zunächst wird das Leergewicht des Pyknometers[g] bestimmt, dann der Wasserwert[g] bei 20°C und zuletzt der Probewert[g] bei 20°C.


Beispiel - Bestimmung des Gewichtsverhältnis SL20/20°C mit dem Pyknometer:

Leergewicht Pyknometer                  = 33,1000 g

Gewicht Pyknometer mit Wasser bei 20°C  = 84,3800 g

Gewicht Pyknometer mit Probe bei 20°C   = 86,8640 g

Gewicht Wasser(Wasserwert)              = 84,3800 g - 33,1000 g = 51,2800 g

Gewicht Probe(Probewert)                = 86,8640 g - 33,1000 g = 53,7604 g


Die Wiegewerte für Probe und Wasser werden nun, wie es die Bezeichnung Gewichtsverhältnis vermuten lässt, ins Verhältnis gesetzt:

Gewichtsverhältnis SL20/20°C = 53,7604 g / 51,2800 g =  1, 04836


Das Gewichtsverhältnis SL20/20°C ist als Größenverhältnis per Definition keine Dichte(Dichte = Masse/Volumen, DIN 1306) und ist dimensionslos - hat also keine Einheit wie z.B. g/ml oder g/cm³ usw.. Umgangssprachlich wird das Gewichtsverhältnis SL20/20°C  gerne bzw. fälschlicherweise als spezifisches Gewicht bezeichnet. Im internationalen Kontext trifft man ebenfalls auf Bezeichnungen wie "Specific gravity"(abgekürzt als SG zu finden), wobei auch hier nicht das spezifische Gewicht gemeint ist, sondern das in der Platotabelle betitelte Gewichtsverhältnis SL20/20°C..


Grundsätzlich sollte man sich angewöhnen für dimensionslose Dichteangaben(->Größenverhältnisse), die aus den Verhältnissen zweier Dichten oder zweier Gewichtsmessungen ermittelt werden, den Präfix "relativ" zu verwenden und die jeweilige Bezugstemperatur °C für Probe(Zähler) und Referenzprobe(Nenner) mit anzugeben:



Allgemein gilt:

Die relative Dichte D ist das Verhältnis der Masse eines bestimmten Volumens einer Flüssigkeit bei der Temperatur T1 zur Masse des gleichen Volumens von Wasser bei der Temperatur T2.


Die Spalte "Gew.% g in 100 g"

Die Angabe der Konzentration in Gewichtsprozent oder besser Gewichts-/Gewichtsprozent(Abgekürzt als Gew.-% oder nur als GG%) ist zwar keine DIN-gerechte Bezeichnung, sie hält sich aber ebenso wacker wie viele andere obsolet gewordene Benennungen für Einheiten. GG% beschreibt hier, ausgedrückt in %, den Massenanteil Extrakt in Bezug zur Gesamtmasse der Lösung[g/100g]. Am deutlichsten wird die Definition Gewichtsprozent, wenn man sich die Herstellung einer gewichtsprozentigen Lösung ansieht.


Herstellung einer gewichtsprozentigen Saccharose-Lösung mit 12 GG%. Bezugstemperatur 20 °C:

Man stelle ein Becherglas auf eine Präzisionswaage und tariert die Waage auf 0. Nun gibt man 12 g Saccharose in das Becherglas und füllt 50 ml reines Wasser ein, worin die Saccharose zunächst aufgelöst wird. Im Anschluss gibt man so lange reines Wasser hinzu, bis die Waage genau 100 g anzeigt.


Nach diesem Vorgang sind in 100 g Lösung genau 12 g Saccharose enthalten [12 g/100 g]. In dieser Lösung und bei 20°C würde eine Bierspindel(Saccharometer) genau 12,0 % anzeigen. Damit hat die Lösung 12,0 GG% bzw. 12,0 %mas und da die Lösung im unvergoren Zustand vorliegt, auch eine Stammwürze von 12 °P.


Die Spalte "Dichte p 20/4°C"

Die relative Dichte 20°C/4°C  beschreibt die Dichte einer Flüssigkeit bei 20 °C im Verhältnis zur Dichte von Wasser bei 4 °C. Sie ist wie die relative Dichte 20°C/20°C dimensionslos. Aus Sicht des Brauers findet diese Angabe immer dann Anwendung, wenn der auf der Bierspindel(Saccharometer) angezeigte Massenanteil %mas bzw. GG% in Volumenprozent % Vol. umgerechnet werden muss, z.B. bei der Berechnung der Sudhausausbeute.


Die Spalte "Gemischt % g in 100ml" bei 20°C

Gemischt % bezeichnet den Massenanteil eines Stoffes bezogen auf ein Volumen, z.B. g/100 ml. In der Platotabelle errechnet sich dieser Wert aus der Multiplikation von Gew.% g in 100 g mit der relativen Dichte p 20/4°C. Sie kennen diesen Vorgang z.B. aus der Berechnung der Sudhausausbeute.




Stammwürzebestimmung in der unvergorenen Würze(Anstellwürze)

In der unvergorenen Würze lässt sich die Stammwürze °P direkt  mit der Bierspindel(Saccharometer) oder mit Messinstrumenten, aus deren Ablesewert sich eine Dichte errechnen/ableiten lässt, bestimmen:



Was und wie Sie es auch immer tun - es läuft immer darauf hinaus, dass Sie die Dichte in der unvergorenen Anstellwürze bestimmen und der direkte Schulterschluss zum Stammwürzegehalt °P gelingt nur, weil die Probe unvergoren ist und damit die von Balling und Plato hergestellten Zusammenhänge uneingeschränkt Gültigkeit besitzen.




Stammwürzebestimmung in der vergorenen Würze(Jungbier/Fertigbier)

Um es vorweg zu nehmen:

Sie können in einer (teilweise)vergorenen Würze die Stammwürze °P nicht mehr direkt mit Spindeln, Biegeschwinger, Pyknometer oder sonstigen Messinstrumenten über die Dichte ermitteln. Der Grund ist relativ simpel:

Die von Balling und Plato hergeleiteten Zusammenhänge zwischen Dichte und Saccharosekonzentration(Platotabelle) gelten nicht mehr, da die gemessene Dichte im Vergorenen nicht mehr alleinig vom Extraktgehalt beeinflusst wird(wie vor der Vergärung), sondern ein "bunter Mix" aus bereits produziertem Alkohol und dem verbliebenen Extrakt ist.


Mir ist klar, dass die Zusammenhänge für Brau-Novicen nicht einfach zu durchdringen sind und selbst "alte Hasen" tun sich mit der Aussage schwer, dass das was man im Gär-, Lagerkeller oder im Endprodukt mit der Bierspindel(Saccharometer) spindelt eben NICHT die Stammwürze oder das Grad Plato °P ist, sondern der Extrakt scheinbar Es %[g/100g]. Zusätzlich genährt wird diese falsche Annahme dadurch, dass so mancher Online-Shop der Bierspindeln(Saccharometer) im Programm hat mit Produktbeschreibungen aufwartet, die sich in etwas so lesen:


"Bierspindel für Würze oder Bier zur Ermittlung der Stammwürze oder der °P"


Das ist grober Unfug. Noch schlimmer wird das, wenn die auf der Spindel angebrachte Skala mit der Einheit °P ausgezeichnet ist oder wird.


Der einzige Weg die Stammwürze in der vergorenen Würze, im Jungbier oder im Bier zu ermitteln, führt über die Ballingformel:



Bildquelle: Vortagsveranstaltung an der Fakultät Angewandte Chemie, 2011, Hochschule Reutlingen, Alteburgstraße 150, 72762 Reutlingen, Eigentum des Autors: Oli Weiss


Allgemein gilt: Die Stammwürze °P lässt sich im Vergorenen nur noch rechnerisch ermitteln. Dazu muss man den verbliebenen Extrakt wirklich Ew[g/100g] und den Alkohol[g/100g] kennen. Bitte lesen Sie dazu auch die Anmerkungen hier.



Siehe auch:

Extrakte und Vergärungsgrade

Die Sudhausausbeute


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